IM GESPRÄCH
Brigitte.de: Sie sind noch keine 30, haben aber schon drei Romane zum Thema Alter, Einsamkeit und Tod geschrieben. Wie kommt's?
BK: Ich habe Erfahrungen verarbeiten müssen, wie man so schön sagt. Wobei ich von dem Wort eigentlich nicht so viel halte - ein Zivildienst im Pflegeheim oder noch persönlichere Erfahrungen sind nicht verarbeitet, indem man darüber schreibt. Die bleiben präsent.
Brigitte.de: In Ihrem neuen Roman "Die Erlöser AG" prophezeien Sie für die nahe Zukunft skandalöse Zustände in Pflegeheimen und Altenghettos. Übertreiben Sie?
BK: Viele der Zustände, die ich in meinem Roman schildere, sind leider heute schon real. Um überhaupt glaubhaft zu wirken, habe ich eher untertrieben als übertrieben.
Brigitte.de: Sie beschreiben völlig überfordertes Personal: Behinderte hängen stundenlang an Hebe-kränen oder werden in Abstellkammern vergessen; statt Zuwendung gibt's Beruhigungsspritzen.
BK: Als ich meinen Zivildienst antrat, hatte ich keine Ahnung von Pflege, niemand wies mich in meine Arbeit ein. Auch die Schwestern waren zum Teil nicht mal angelernt, geschweige denn ausgebildet. Und die Schwestern, die ausgebildet waren, konnten das alltägliche Elend zwischen Stürzen, Wutausbrüchen, Exkrementen nicht verhindern. Viele Situationen, in die Patienten gerieten, waren eines Menschen schlicht unwürdig. Die Pflege wird vernachlässigt - immer öfter liest man in den Zeitungen von Skandalen. Parallel dringt auch das Thema Sterbehilfe immer mehr in die aktuelle Diskussion, und auch in die Realität.
Brigitte.de: In Ihrem Roman kann man den Tod bestellen wie eine Pizza. Manche Literaturkritiker sehen in Ihnen einen Unmenschen.
BK: Das Thema polarisiert, klar. Und dann kommen da auch wieder die Kirchenvertreter, die ja sehr auf dem juristischen Status quo beharren, und keinesfalls Lockerungen für Sterbehilfe in Deutschland sehen, wie es sie in der Schweiz oder in den Niederlanden längst gibt.
Brigitte.de: Zu den kirchlichen Grundsätzen gehört das unbedingte Ja zum Leben. Das teilen Sie nicht?
BK: Leben soll sein - das unterschreibt erst mal jeder. Ich natürlich auch. Aber ich habe Schicksale kennen gelernt, wo dieser oberste Grundsatz nicht weiterhilft. Wo es eine sehr viel stärkere Differenzierung braucht, um zu sehen, ob dieses unbedingte Ja zum Leben nicht auch ein unbedingtes Ja zum selbstbestimmten Leben meint. Und für mich zählt dazu auch ein selbstbestimmtes Scheiden aus dem Leben.
Brigitte.de: Befürworten Sie persönlich Sterbehilfe - ja oder nein?
BK: Diese Frage kann ich nicht mit ja oder nein beantworten. Es gibt so viele individuelle Schicksale, Fälle, Umstände. Was ist aktive Sterbehilfe? Passive Sterbehilfe passiert ja heute längst, auch in unseren Krankenhäusern. Ich habe mit Ärzten gesprochen, die mir ihren Alltag geschildert haben - das unterscheidet sich kaum von der aktiven Sterbehilfe. Da kommen Leute ins Krankenhaus, die mit Sicherheit nie mehr raus kommen. Die brauchen kein aktives Gift, es reicht, die Atemmaschine abzustellen. Aber am Ende ist es natürlich auch ein künstliches aus dem Leben scheiden. Wobei es davor ein künstliches am Leben halten war. Und da sind wir schon mitten in der Diskussion: Was ist künstlich, was ist normal? Was ist juristisch sinnvoll, was nicht, was ist menschlich, was ist unmenschlich, wo ist man dafür, wo ist man dagegen? Ganz persönlich glaube ich, dass größere individuelle Freiheit vielen helfen würde. Ich glaube nicht, dass es so viele aktive Taten mit sich ziehen würde.
Brigitte.de: Man hat ja auch die Freiheit, sich selbst zu töten. Wäre es nicht verantwortungsvoller, das selbst zu tun, bevor man es nicht mehr kann und die Verantwortung anderen überlässt?
BK: Diese Frage spiele ich im Buch anhand der Maren Uverath durch. Diese Frau ist am ganzen Körper gelähmt und auf die Atemmaschine angewiesen. Der Inhaber der Sterbehilfeagentur sagt, dass letztendlich - so zynisch das erst einmal klingen mag - die Sterbehilfeagentur dieser Frau das Leben verlängert hat. Sie scheidet an einem Punkt aus dem Leben, wo sie selber nicht mal mehr schlucken kann, sie kann ihren Arm nicht mehr bewegen. Um noch selbst Hand anlegen zu können, hätte diese Frau die Erde wahrscheinlich fünf Jahre früher verlassen müssen. Insofern wurde ihr Lebenszeit geschenkt. Anderseits: Was war das für ein Leben, an die Maschinen gekettet? Natürlich muss jeder für sich selbst entscheiden, was er für lebenswert und für nicht lebenswert hält. Da kann ich als Autor mich nicht einmischen.
Brigitte.de: Wann wäre Ihr Buch für Sie ein Erfolg?
BK: Wenn ich Leute erreiche, die sich nach der Lektüre weiter mit diesem schwierigen Thema auseinandersetzen. Wenn ein Politiker in dem Buch Anregungen finden sollte. Wenn ich viele Bücher verkaufe. Und wenn ein pflegender Angehöriger liest, dass man auch mal zugeben darf, überfordert zu sein, dann ist das ein Erfolg.
Brigitte.de: Würden Sie Ihre eigenen Eltern, falls sie "Pflegefälle" würden, zu sich holen?
BK: Ja. Aber ohne externe Hilfe ist eine solche Situation über Jahre nicht zu meistern. Traurig: Am Ende entscheidet mal wieder das Geld, wie menschlich oder unmenschlich ein Menschenleben zu Ende geht.
Brigitte.de: Sie selbst sind noch jung und gesund. Haben Sie trotzdem Angst vorm Alter?
BK: Ich hab überhaupt keine Angst davor, alt zu werden. Und schon gar keine Angst, tot zu sein. Eine Riesenangst habe ich - so absurd es klingt in meinem Alter - davor, die Kontrolle über mich zu verlieren. Das muss ja keine Krankheit sein. Das kann ein Unfall sein, und plötzlich liegt man da, ist an Maschinen angeschlossen, kann sich nicht artikulieren - und vor so einem Zustand, einfach, weil ich ihn mehrfach bei verschiedenen Personen erlebt habe, habe ich ziemliche Panik.
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Die Fragen stellte Udo Taubitz.